Ein Besuch im Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung ,Versöhnung in Berlin
Seit den 2000er Jahren wird in Deutschland darüber diskutiert, nun wurde am 23. Juni 2021 endlich das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung eröffnet. Es befindet sich am Anhalter Bahnhof mitten in Berlin und will ein „einzigartiger Lern- und Erinnerungsort zu Flucht, Vertreibung und Zwangsmigration in Geschichte und Gegenwart sein“. Da ich mich schon seit Jahren mit meiner eigenen Familiengeschichte beschäftige und mir die Themen dadurch bekannt sind war klar: da muss ich hin.
Das Haus hat selbst eine Geschichte und wurde für das Dokumentationszentrum neugestaltet. Mehr Informationen dazu, sowie über die Trägerstiftung und das Stiftungsthema, bietet die Internetseite. Für die verschiedensten Zielgruppen werden pädagogische Angebote, Führungen und Veranstaltungen angeboten. Ich will die Ausstellung besuchen und die Bibliothek mit Zeitzeugenarchiv, wo ich mich mit Jörg Schlösser treffe. Er ist Archivar und ihn habe ich kontaktiert, weil ich Dokumente aus dem Nachlass meiner Großmutter dem Dokumentationszentrum überlassen möchte. Jetzt bin ich aufgeregt, denn ich mache das nicht, weil ich die über hundert Schriftstücke aus Kunbaja und Bayern loswerden möchte. Ganz im Gegenteil ist es mir wichtig, dass sie nicht in Vergessenheit geraten, sondern zum Gedenken und Erinnern zur Verfügung stehen. Ich habe sie gesichtet, verschlagwortet und in einen Ordner sortiert, damit ihre Geschichte erzählt wird. Nun sollen sie Teil der Sammlung und des Zeitzeugenarchivs werden.
Über eine Stunde lang sprechen wir über meine Urgroßeltern und meine Großeltern, die in Kunbaja gelebt haben und über meinen Vater, der dort noch geboren wurde. Wir sprechen über die Vertreibung, über die Gegenstände, die mitgenommen werden konnten und über das Ankommen in einem Land, dass nicht die Heimat war. Gerade die Vertreibung der Deutschen aus Ungarn ist ein Kapitel zum Ende des zweiten Weltkriegs, zu dem noch viel gesagt werden kann und es tut gut zu berichten, wie in meiner Familie die Erinnerung dazu von meiner Großmutter an mich weitergeben wurde. Ich möchte, dass diese Erinnerung lebt und überlebt, denn sie ist ein Teil der Geschichte; mehr noch, sie ist ein Teil meiner Geschichte. Sie soll erzählt werden und sie soll andere zum Erzählen anregen. Obwohl ich Kunbaja bis vor ein paar Jahren nie selbst besucht hatte, geht es mir wie von Jakob Wolf in seinem Gedicht „Unverlierbare Heimat“ beschrieben: „Wer die Heimat kannte, die ich Heimat nannte, der verliert sie nie; tief ins Herz geschrieben ist sie ihm geblieben – eine Herzensmelodie.“
Und so verwundert es mich nicht, dass das Dokumentationszentrum Geschichten zum Thema Flucht, Vertreibung oder Zwangsmigration sucht. Fluchtberichte, Tagebücher, Briefe in verschiedensten Sprachen, Fotos und andere Dokumente können gerne über geschichten@f-v-v.de eingereicht werden. Vielleicht stehen sie dann im Archiv wieder nachbarschaftlich nebeneinander: ihre Geschichte und meine, über die alte Heimat Kunbaja.